Mit der Entwicklung des Silberbergbaus bei Freiberg nach 1168 forcierte Otto der Reiche die Besiedlung und Urbarmachung des Miriquidi. Es wurden sowohl Holz für den Bergbau als auch Nahrungsmittel für die
Bergleute gebraucht. Deshalb schickte er sogenannte Locatoren oder Ministeriale aus, heute würden wir sie als Beamte bezeichnen, die die Siedlungsgebiete im Urwald erkunden und grob vermessen sollten. Sie
mussten ermitteln, wie viele Siedler in einem bestimmten Gebiet Platz finden würden. Mit diesem Wissen und mit Empfehlungsschreiben und Geleitbriefen des Markgrafen ausgerüstet, ritten sie in die übervölkerten
Altsiedelgebiete wie Thüringen, Franken und Hessen. Es dauerte sicher Wochen oder gar Monate, bis der Locator nach intensiver Überzeugungsarbeit einen Treck zusammengestellt hatte.
Für unser Tal dürften sich etwa 50 überwiegend junge Bauernfamilien – für die es in ihrer alten Heimat kein Land mehr gab – mit Pferd oder Ochs und Wagen, mit etwas Vieh, Ackergeräten und Saatgut, mit Äxten, Sägen und Nahrungsmitteln an einem Frühlingstag auf den langen, beschwerlichen Weg in eine neue Heimat gemacht haben, mit viel Hoffnung, aber auch Sorge und Angst im Herzen. Sicherlich waren auch ein Pfarrer und Schmied dabei. Alle anderen Handwerkstätigkeiten – Zimmermann, Müller, Schuster usw. – vermochten die Bauern damals selbst auszuführen. Die Bäuerinnen konnten spinnen, weben, ihre Kleidung nähen und Brot backen. Wir kennen den genauen Weg nicht, den dieser Treck gezogen ist, aber sicher ist, dass sie für die letzte Wegstrecke den böhmischen Steig benutzt haben, also vom Oberdorf her ins Tal gekommen sind. Die Gründer unseres Heimatdorfes werden sehr froh gewesen sein, endlich das Ziel erreicht zu haben. Aber es war wohl kein allzu einladender Eindruck, den der Urwald mit seinem dichten Unterholz auf sie machte. Es wird schon Hochsommer gewesen sein, als sie ankamen. Bis zum Einbruch des Winters mussten Mensch und Tier ein Dach über den Kopf haben. Als erstes wurde in gemeinsamer Arbeit ein breiter Streifen Buschwerk und Gestrüpp entlang des Dorfbaches gerodet und zum Gemeindeland erklärt. Damit war auch Platz für einen Weg – der späteren Dorfstraße – geschaff en. Gleichzeitig mussten Gräben zum Bach gezogen werden, um das Wasser von den vielen Quellen dorthin zu leiten und den Boden trocken zu legen. Das gute Quellwasser wird ihnen geschmeckt haben. Später haben sie es in Holzröhren in die Gehöfte gelegt. Nun wurden von diesem freien Streifen aus vom Locator mit einem genormten Seil quer zum Bach links und rechts die Hänge hinauf die Hufen vermessen, etwa 100 m breit und 2.400 m lang. Für jede Siedlerfamilie war eine fränkische Hufe vorgesehen, etwa 24 Hektar. Nach altem Brauch wurden die Hufen dann verlost.
Die Ältesten unter uns, die das Ortsbild und die Feldfluren vor 1960 noch kannten, haben diese Hufeneinteilung anhand der damaligen Feldraine noch gut in Erinnerung. Die Flurkarten der Gemeinde aus dem 19. Jahrhundert
zeugen ebenfalls davon. Auch deshalb wird Dörnthal in alten Dokumenten auch als fränkisches Waldhufendorf bezeichnet. Allerdings ist diese Struktur nur im Ober- und Mitteldorf feststellbar. Bauerngüter und Fluren im Niederdorf weichen deutlich davon ab.
Mit der Übergabe der Hufe erhielten die Siedler eine Lehensurkunde, die das Siegel des Markgrafen trug, der damit ihr oberster Lehensherr wurde. In Anbetracht der bevorstehenden schweren Arbeit – Rodung und Urbarmachung des Waldes – gestand der Markgraf den Neusiedlern einige Privilegien zu, z. B. Freistellung von den belastenden Frondiensten und die erblichen Nutzungsrechte an ihren Hufen. War kein Erbe da, ging das Land an den Lehensherrn zurück, der es neu vergeben konnte. Für das Lehen waren jährlich bestimmte Abgaben zu entrichten, anfangs in Holz und Harz, dann in landwirtschaftlichen Erzeugnissen, später vorwiegend in Geld. Für die ersten drei Jahre waren alle Abgaben ausgesetzt. Nachdem jeder seine Hufe Land bekommen hatte, begann der Bau der Blockhütten für Mensch und Tier. Sie wurden wegen der Hochwassergefahr an und auf den Hängen errichtet. Holz war genügend da, allerdings musste es erst geschlagen und zugerichtet werden. Die Blockhütten wurden zweigeteilt in Wohn- und Schlafraum. Im größeren
Wohnraum befand sich die off ene Feuerstelle mit einer Öff nung im Dach zum Rauchabzug. Glas für die Fenster konnten sich die Bauern damals noch nicht leisten. Man schloss die Öffnungen bei Kälte und nachts mit
Holzläden.
Gemeinsam wurde eine größere Hütte für den Gottesdienst und für Dorfversammlungen gebaut, ohne diese wäre eine Selbstverwaltung der neuen Gemeinde nicht möglich gewesen. An der Spitze der dörflichen Selbstverwaltung stand der vom Lehensherr ernannte Erbrichter. Die Bezeichnung Erbgericht für seinen Hof ist heute noch lebendig. Der erste Erbrichter war meist der vom Markgrafen bestellte Locator. Er übte mit zwei gewählten Schöppen die sogenannte niedere Gerichtsbarkeit aus, das heißt Schlichtung von Erb- und Grenzstreitigkeiten, Bestrafung von Körperverletzungen und Diebstahl.
Für unseren Ort fand ich in einer alten Akte die Namen von 15 Erbrichtern seit 1501 bis zur Einführung der Landgemeindeordnung 1839, die gleichzeitig im Besitz des Erbgerichts waren. In einer nächsten Folge möchte ich die Frage beantworten, wie Dörnthal zu seinem Namen kam.
Klaus Jablinski
Ortschronist von Dörnthal