Die erste öffentliche Bibliothek in Dörnthal gründete 1893 der damalige Pfarrer Curt Becker. Ihr Ziel war die „Belehrung und Unterhaltung auf christlicher Grundlage“. Bis dahin kursierte im Dorf vor allem Kitschliteratur in Form der sogenannten „Groschenheften“. Pfarrer Becker wollte den Dorfbewohnern andere Literatur näherbringen, aber auch Ratgeber zu verschiedenen Lebensbereichen anbieten.
Die Bibliothek war organisiert wie ein Verein, der sich „Verband der öffentlichen Volksbibliothek Dörnthal“ nannte. Zur Gründungsveranstaltung traten 24 Bürger in den Verband ein, im Laufe des Jahres kamen noch neun Einwohner dazu. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten zum Beispiel Ernst Moritz Rudolph, Karl August Weidensdörfer, Ernst Gotthilf Herold, Friedrich Wilhelm Böhme. Es waren meistens Gutsbesitzer, aber auch Maurer, Schmiedemeister, Straßenwärter. Sie zahlten einen Jahresbeitrag von einer Mark.
Finanziert wurde die Bibliothek von
- der Gemeindekasse jährlich 30 Mark,
- der Kirchkasse 50 Mark
- und den Mitgliedsbeiträgen 33 Mark.
Im ersten Jahr kamen als Spenden dazu:
- Rittergutsherrschaft 30 Mark,
- Amtshauptmannschaft 50 Mark und
- Landeskirchliche Kollekte 100 Mark.
Von diesem Geld wurden die ersten 129 Bücher gekauft und katalogisiert. So gab es Sagen, Geschichten, Lebensläufe, Bücher zur Land- und Forstwirtschaft, Handel und Gewerbe, Erd-, Völker- und Naturkunde sowie
zur Krankenpflege.
Die Ausleihe war kostenlos. Die Bücher fanden in einem Raum im Pfarrhaus ihre Bleibe. Jede Ausleihe wurde in einer Kladde festgehalten. Im ersten Jahr wurden 300mal Bücher ausgeliehen. Nach 10 Jahren gab es schon einen Bestand von 806 Büchern und die Einwohner liehen 744 aus. Die Dörnthaler hatten die Bücherei angenommen. Leider ist nicht erhalten geblieben, wie viele Leser es damals gab. Als Pfarrer Becker 1910 Dörnthal verließ, übergab er die Bibliothek dem nächsten Pfarrer.
Bis 1945 wurde sie von den jeweiligen Pfarrern und deren Frauen betreut. Die Bücher blieben im Pfarrhaus. Ab 1924 vermittelte Pfarrer König verschiedene literarische Vorträge, z.B. vom Oberkirchenrat Dr. Colditz aus Dresden über Heimatpflege oder von Pfarrer Dr. Brause aus Freiberg einen Reisebericht durch Jerusalem und das Heilige Land.
Nach 1933 versuchte die NSDAP mit Hilfe der Lehrer, eine politische Bücherei im Ort zu gründen und wollte dafür die Bücher aus dem Pfarrhaus vereinnahmen. Pfarrer König wehrte sich vehement dagegen. Er schloss letztendlich 1937 die Bibliothek an den Reichsverband evangelischer Bibliotheken an und benannte sie um in „Evangelische Gemeindebibliothek Dörnthal“.
Man gründete trotzdem um 1939 eine zweite öffentliche Bücherei, wahrscheinlich finanziert von der Gemeinde. Sie wurde beim Ortsgruppenleiter der NSDAP eingerichtet, der sie bis zu seinem Tod 1945 verwaltete. Zu diesem Zeitpunkt gab es hier 316 Bücher. Nach dem Krieg wurden davon 144 Bände mit nazistischem, militärischem und antidemokratischem Inhalt ausgesondert und im Rathaus Sayda abgegeben.
Ab 1946 betreuten die Bibliothek Lehrer und Gemeindemitarbeiter. Sie zog mehrmals um, war in der oberen Schule und in der Barackenschule stationiert, aber die meiste Zeit bei Familie Martin (jetzt Roland Nerger). 35 Jahre lang betreute Sonja Martin als Gemeindemitarbeiterin diese Bücherei.
1998 gab Frau Martin aus Altersgründen die Betreuung der Bibliothek auf. Die Bücher brauchten ein neues Domizil. Sie zogen in das Gebäude der ehemaligen Polytechnischen Oberschule – jetzt Grundschule – um. Die Ausleihe übernahm Frau Jablinski. Sie war Lehrerin an der Grundschule. Bürgermeister Reiner Lippmann zeigte sich sehr offen für neue Ideen. So organisierte er eine Spende der Firma Windkraft Unger von 1800 DM, um Fußbodenbelag, Regale, Kleinmöbel und anderes zu finanzieren. Weitere 2000 DM gewährte die Gemeinde zur Neueröffnung 1998 für Bücher, Videos, Hörkassetten, CDs und Spiele. Dadurch konnte mit einem neuen Konzept gearbeitet werden. Die Bibliothek öffnete wie seit vielen Jahren einmal in der Woche nachmittags und nun zusätzlich täglich (inzwischen dreimal wöchentlich) in der Mittagspause für die Grundschüler. Die Kinder konnten nicht nur alle Medien ausleihen, sondern auch malen, basteln und spielen. Davon machen sie bis heute regen Gebrauch. Am Ende des Jahres 1998 war der Bestand an Medien auf 1367 gewachsen, 140 Leser (zum größten Teil Kinder) hatten 2341 Bücher, Videos, Kassetten und CDs ausgeliehen.
Jetzt besitzt die Bibliothek 2969 Medien. Das liegt vor allem daran, dass Einwohner des Ortes oder Bekannte der Bücherei fast neue, oft sehr schöne Bücher schenken. Es gibt regelmäßig Veranstaltungen, vor allem für Kinder: Buchlesungen, Lesenächte, Wettbewerbe, Leseprojekte. Die Bücherei Dörnthal gehört seit 2018 zu der Stadtbibliothek Olbernhau.
Renate Jablinski
Leiterin der Gemeindebibliothek Dörnthal