Zu dieser Zeit war der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten in Dörnthal zu einem ernsten Problem geworden. Die Landwirtschaft war nicht mehr in der Lage, die durch das rasche Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahrzehnte stark zunehmende Zahl an Arbeitskräften zu beschäftigen. Außer der Sägemühle am Dörnthaler Teich, wo einige Leute Arbeit gefunden hatten, gab es nur noch die kleine 1875 gegründete Holzfabrik im Oberdorf, die aus der Richtermühle hervorgegangen war. Viele Dörnthaler mussten sich Arbeit in anderen Orten suchen, in denen Industriebetriebe entstanden waren wie in Olbernhau, Pockau oder Brand-Erbisdorf. Nicht selten zogen sie dann mit ihren Familien in die Nähe ihrer Arbeitsorte, so dass trotz reichlichen Kindersegens in dieser Zeit die Einwohnerzahl von Dörnthal zurückging. Die Volkszählung von 1890 ergab 1136 Einwohner. Das waren 130 weniger als 1852. Heute – im Jahr 2020 – sind es mit 604 nicht einmal mehr die Hälfte von damals.
1888/89 stellte das Rittergut den Landwirtschaftsbetrieb ein und damit verloren 20 Landarbeiter ihre Arbeit. Das verschärfte die Arbeitslosigkeit in Dörnthal erheblich. Einen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche ließ Carl Alexander von Schönberg aufforsten, der andere Teil des reichlich 100 ha umfassenden Dörnthaler Besitzes wurde parzellenweise an kleine Landwirte und Handwerker verpachtet. Das alte Herrenhaus und ein Teil der Wirtschaftsgebäude wurden abgerissen. Das 1798/99 neu entstandene, heute als Pflegeheim bekannte, stattliche Gebäude wurde für Gäste und Personal der Schönbergs zum Haupthaus umgebaut.
Als Folge der Notlage vieler Dörnthaler durch Arbeitslosigkeit kam es damals zu einer hohen Zahl von Selbstmorden in der Gemeinde. Nicht selten wurde von ihnen der Freitod im Dörnthaler Teich als letzter Ausweg gewählt. Vom Pfarrer Becker und dem Kirchenvorstand wurde beschlossen, gemeinsam dagegen vorzugehen. So hielt der Pfarrer zu Himmelfahrt 1889 eine große Predigt gegen die Sünde des Selbstmordes und der Kirchenvorstand beschloss Ergänzungen des Ortsstatuts für Beerdigungen. Es wurde dahingehend erweitert, dass keine öffentliche Aufbahrung der Leichen von Selbstmördern mehr erfolgen soll. Zudem dürfe es kein öffentliches Sprechen am Sarg für diesen Personenkreis geben. Außerdem wurde erwogen, bei der Beerdigung von Selbstmördern die Glocken schweigen zu lassen. Erleichtert konnte Pfarrer Becker in seinem Jahresbericht 1895 feststellen, dass es seit geraumer Zeit keinen Selbstmord in der Gemeinde mehr gegeben hat. Ob die kirchlichen Maßnahmen oder eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse am Ende des 19. Jahrhunderts dafür ausschlaggebend waren, ist aus heutiger Sicht nicht mehr zu beurteilen. Allerdings wurde im Gemeindearchiv für 1893 noch ein versuchter Selbstmord vermerkt, dem ein Liebesdrama zugrunde lag. Ein Bauernsohn aus Kleinhartmannsdorf, der mit der Tochter des Göpfert-Bauern ging, bat im September 1893 in der Wohnstube des Bauern um die Hand der Tochter. Ohne Erfolg. Er wurde abgewiesen. Daraufhin zog der junge Mann einen Revolver und schoss auf sich. Die erste Kugel traf ihn selbst, die zweite die Tochter, die sich ihm in die Arme warf und die dritte schlug in die Decke ein. Die beiden Liebenden überlebten, aber es gab nach der Haftentlassung des Schützen, der seine Liebe so dramatisch bewiesen hatte, kein Happy-End. Er bekam die Tochter nicht.
Quelle: „Geschichte eines erzgebirgischen Bauerndorfes“ von Prof. Zimmermann
K. Jablinski
Ortschronist von Dörnthal