Vor hundert Jahren – genau am 18.11.1918 – ging der bis dahin schlimmste aller Kriege zu Ende. Deutschland wurde von Frankreich und England zum Waffenstillstand gezwungen. Mit Russland gab es bereits vorher den Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Der erste Weltkrieg brachte etwa 20 Millionen Menschen in über 40 Staaten Europas und Übersee den Tod und viel Zerstörung in den einzelnen Ländern.
Als Folge der anschließenden Friedensverhandlungen in Versailles verlor der deutsche Staat große Gebiete und musste über einige Jahre Reparationszahlungen leisten. Doch vier Jahre vorher – im Sommer 1914 – fühlte sich der deutsche Kaiser Wilhelm II. mit Heer und Flotte in seinen Weltherrschaftsplänen bereits so stark, dass er endlich losschlagen wollte. Ein Attentat in Sarajevo kam ihm dabei gerade recht. Zuerst erklärte er Russland den Krieg. Die mörderischen Parolen, mit denen von Preußen aus die Kriegsbegeisterung geschürt werden sollte, wie „Jeder Stoß ein Franzos“, „Jeder Schuß ein Russ“ oder „Serbien muss sterbien“, fanden bei unserer Dorfbevölkerung nur wenig Anklang. Die Bauern hatten Angst, dass sie mitten in der Erntezeit zum Militär eingezogen würden. So kam es dann auch. Bereits Anfang September 1914 erfolgte für die ersten 23 Dörnthaler Männer die Mobilmachung. Für die Bauern und ihre Söhne war es hart, mitten in der Ernte die Felder zu verlassen. Erschwerend kam hinzu, dass auch ihre Pferde – in Dörnthal waren es fast 100 Tiere – für den Kriegsdienst mobilisiert wurden. Dafür gab es keinen finanziellen Ausgleich, sondern nur einen Zettel, auf dem die Rückgabe nach Kriegsende bescheinigt wurde, falls das Tier dann noch am Leben sei. Natürlich bekam im Jahre 1918 nach Kriegsende niemand sein Pferd zurück.
Ochsengespanne prägten in den vier Kriegsjahren und noch lange danach das Bild auf den Feldern und dörflichen Straßen. Gleich zu Beginn des Krieges wurde auch der Hilfslehrer an der oberen Schule Wilhelm Winter eingezogen. Das bedeutete, dass über die gesamte Kriegszeit je 100 Kinder an der oberen Schule von Kantor Arnold und an der unteren Schule von Lehrer Endtricht unterrichtet werden mussten. Die Geburtsrate im Ort sank während dieser Zeit von 30 Kindern pro Jahr auf 15. Mit zunehmender Dauer bestimmte dieser Krieg immer mehr das Alltagsleben im Ort. Die Zahl der Einberufungen nahm ebenso zu wie die Meldungen über Gefallene und Verwundete aus dem Dorf. Zunehmend kamen Städter in unsere Gegend, um bei den Bauern schwarz Lebensmittel zu kaufen oder gegen Schmuck oder Kleidung einzutauschen. Dieser Krieg verzögerte auch die 1914 begonnene Elektrifizierung unseres Ortes. Erst Ende 1916 konnten unsere Einwohner ihre Petroleumlampen auf den Oberboden verstauen. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis auch die letzten Zweifler überzeugt waren, dass das elektrische Licht bei jedem Wetter funktioniert und der Blitz nicht öfter einschlägt als vorher. Der Kriegswinter 1917/18 ist als Kohlrübenwinter in die Geschichtsbücher eingegangen. Die Bauersfrauen und ihre Kinder waren ohne Männer und ausreichend Gespann nicht in der Lage, den Boden richtig zu bewirtschaften. Die Erträge sanken. Dazu kam 1917 eine verheerende Missernte, vor allem bei Kartoffeln. In Dörnthal wurde nur die Hälfte sonstiger Jahre geerntet, aber das Abgabensoll blieb gleich. Das Hauptnahrungsmittel Kartoffel musste durch die Kohlrübe ersetzt werden. Wie alte Dörnthaler berichteten, wurden Sperlinge geschossen und Katzen geschlachtet, um in diesen Notzeiten wenigstens etwas Fleisch auf den Tisch zu bekommen. Zur Aufbesserung der Ernährung diente auch das Pilze-, Beeren- und Kräutersammeln. Bei entsprechender Geheimhaltung konnte auch einmal ein Schwein schwarz geschlachtet werden, so dass für die Dorfbevölkerung die Hungersnot nicht zum Hungerstod führte, wie es in den Städten nicht selten vorkam. Um die Kriegsziele zu verwirklichen, brauchten Kaiser und Vaterland viel Geld. So kam die Gemeindevertretung den Aufforderungen der Obrigkeit nach, über die Kriegsjahre verteilt insgesamt rund 23000 DM als Kriegsanleihen mit großzügigen 5% als Verzinsung zu kaufen. Dafür nahm man sogar Kredite von der Gemeindekasse auf. Am Ende des Krieges wurden weder Zinsen noch Anleihen zurückgezahlt. Nur die Kredite mussten von der Gemeinde noch einige Jahre bedient werden.
Im Juni 1917 bekam die Dörnthaler Kirchgemeinde Bescheid, dass sie die große und mittlere Glocke der Kirche „dem Vaterlande zu opfern“ habe. Das blockierte Deutschland suchte seine letzten Rohstoffreserven zusammen. Auch die 38 Orgelpfeifen, die 51 kg Zinn erbrachten, mussten abgeliefert werden. Für die älteren Einwohner Dörnthals war das Abliefern der Glocken ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Krieg für Deutschland verloren war. Während der Zimmermannsschmied, der das Glockenläuten so liebte, mit Watte in den Ohren die Glocken zertrümmern musste, schlugen die alten Frauen im Dorf ein Kreuz und murmelten oft unter Tränen: „Gott wird uns dafür strafen…“. Als es am 11. November 1918 zu einem Waffenstillstand kam und in Folge der Novemberrevolution der deutsche Kaiser und sächsische König abdanken mussten, wurde in Deutschland die Republik ausgerufen. In der Bevölkerung des Dorfes war vor allem eine große Erleichterung über das Kriegsende zu spüren. Bald kehrten die ersten Männer aus dem Krieg zurück, aber viele Familien hatten einen oder sogar mehrere Gefallene zu beklagen. Insgesamt ließen 34 Dörnthaler ihr Leben auf den Schlachtfeldern Europas. Dabei waren die vielen Vermissten, die später auch für tot erklärt werden mussten, nicht mitgezählt. Für alle Opfer wurden an der nördlichen Friedhofsmauer drei große miteinander verbundene Holzkreuze angebracht und jedem Toten eine Steintafel mit Namen und Daten gewidmet. Im vorigen Jahr wurde das Ehrenmal erst restauriert.
Klaus Jablinski
Ortschronist von Dörnthal